Inklusive Werbung im deutschen TV: So geschlechtsneutral werben Lidl, Red Bull und Amazon

Wie inklusiv sind deutsche Werbespots? Wir haben die Commercials bei RTL, ARD, ZDF und ProSieben untersucht und ermittelt, welche Sender und Branchen am häufigsten gendern. Fazit: Bei öffentlich-rechtlichen Sendern laufen deutlich weniger gegenderte Werbespots als bei RTL und ProSieben. Amazon Prime wirbt am meisten mit geschlechtsneutraler Sprache. Der Einzelhandel und die OTC-Branche* nutzen derartige Wörter am seltensten.

Deutsche Werbung im Genderfieber?

Mitnichten. Vielmehr suggeriert unsere Statistik einen erheblichen Aufwand der Werbetreibenden zur Vermeidung von Begriffen, bei denen gendern möglich wäre. Von 315 untersuchten Werbespots beinhalteten lediglich jeder Zehnte entsprechende Begrifflichkeiten. Knapp über 90 Prozent der Werber:innen umgingen potenzielle Gendersprache somit komplett. Wiederum nur 33 TV-Spots warben dann tatsächlich in geschlechtsneutraler Ansprache. Rund zwei Drittel der Unternehmen verzichteten stattdessen bewusst auf den Einsatz inklusiver Formulierungen, obwohl die Verwendung möglich gewesen wäre:

Progressiv oder konservativ – welche Branchen werben am inklusivsten

Der Online-Handel ist die progressivste Branche in der Untersuchung. In immerhin sieben Prozent der möglichen Fälle wurden inklusive Formulierungen gewählt. Auf dem zweiten Platz landen Spots aus der Automobilbranche. Hier beträgt die Quote 5,5 Prozent. Das Siegertreppchen wird vom Telekommunikationssektor komplettiert, wo 4,7 Prozent aller Gendermöglichkeiten ausgeschöpft wurden.

Am anderen Ende der Skala landen der Einzelhandel und der OTC-Bereich. Beide Branchen nutzten lediglich 1,6 Prozent aller möglichen Genderformulierungen in ihrer Werbung. Bemerkenswert: Im OTC-Handel entschied man sich in 26,6 Prozent aller Fälle aktiv gegen das Gendern, wenngleich der Text entsprechende Möglichkeiten bot. Eine wesentliche Rolle dabei spielt der nach wie vor standardmäßig genutzte Warnhinweis „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.”

Hier ein Überblick über die Branchen:

Welcher Kanal ist Deutschlands Gendersender? 

ARD und RTL schieben sich ganz nach oben auf der Genderskala: In 50 Prozent (ARD) bzw. 38 Prozent (RTL) der Reklamespots der beiden TV-Giganten wird – falls zu gendernde Begrifflichkeiten verwendet werden – auf inklusive Sprache geachtet. ProSieben liegt nur knapp hinter RTL mit 35 Prozent. Schlusslicht ist das ZDF. In nur 8 Prozent der Spots werden Genderformen genutzt. 

Das Ranking der einzelnen Sender:

Konsument:innen, Konsumenten und Konsumentinnen oder Konsumkräfte 

Die analysierten Werbungen weisen drei Arten des Genderns auf: Genderzeichen, die Paarform und genderneutrale Begriffe. Die beliebteste Form des Genderns im deutschen Fernsehen ist das Genderzeichen. Der Anteil liegt hier bei 53,5 Prozent. Dem folgt die geschlechtsneutrale Sprache, wie zum Beispiel Mitglieder oder Betreuungskräfte, welche mit 30,2 Prozent in knapp einem Drittel der gegenderten Werbungen verwendet wird. Die Kategorie Paarform wird sowohl in öffentlich-rechtlichen als auch privaten Sendern am seltensten verwendet. Sie findet sich zu 16,3 Prozent in den untersuchten Clips. 

 

Über die Untersuchung

Für den Vergleich wurden alle Werbemaßnahmen der Sender ProSieben, RTL, ZDF und ARD vom 10.07. bis 24.07.2023, welche eine halbe Stunde vor der Primetime gespielt wurden, mithilfe von spoteffects untersucht. Die analysierten Merkmale bezogen sich dabei auf zu gendernde Begriffe, welche anschließend auf die Art des Genderns untersucht wurden. Dabei wurde zwischen der Paarform, Genderzeichen und geschlechtsneutraler Ansprache unterschieden. Der Fokus des Vergleichs lag zusätzlich auf den werbenden Unternehmen und der zugehörigen Branche. 

*OTC ist die Abkürzung für „over the counter”, auf Deutsch etwa: „über die Ladentheke”. Gemeint sind damit Produkte, die rezeptfrei in Apotheken gekauft werden können.